FREIE FAHRT FÜR FREIE BÜRGER?

Gekürzte Fassung: https://derstandard.at/2000011782778/Zwischen-Auspuff-und-Kastrationsaengsten

Es hat lange gedauert, bis sich die Erkenntnis durchsetzte, dass Raucher ihr Umfeld besser nicht in blauen Dunst hüllen sollten. Wenn es allerdings um den Abgas verursachten blauen Dunst in den Städten geht, ist die Sachlage schwieriger. Anders als bei Rauchern und Nichtrauchern gibt es bei Abgasverursachern und Leidtragenden Überschneidungen.

Warst du nicht fett und rosig?

Die rosigen Zeiten des Automobils gehören der Vergangenheit an. Am Autohimmel sind dunkle Wolken aufgezogen. Vor allem in den Städten. Unsere Begeisterung fürs Auto zeigt Folgen. Großstädter haben die doppelte Konzentration des Krebsgiftes Benzol im Blut wie Bürger aus Mittel - und Kleinstädten. Vor allem in den Ballungsräumen  gleicht die Verbreitung des Autos dem raschen Wachstum eines Karzinoms. Gleich einem Karzinom wuchert das Auto nicht nur im städtischen Raum, sondern entzieht dem urbanen Organismus allmählich auch seine Lebensgrundlage. Nicht ohne Folgen:

• Anwohner verkehrsreicher Straßen sterben zu 34% mehr als der Durchschnitt an bösartigen Lungentumoren.

• Beim Dickdarmkrebs liegt die Zahl der Todesfälle sogar 68% darüber. (Auswertung Hamburger Krebsregister).

• Pro Jahr gibt es rund 2000 Todesfälle durch verkehrslärmbedingten Herzinfarkt. (vgl. Springerpresse aus: VCD – Verkehrsclub)

Eigentlich sollte man meinen, dass der Mensch angesichts der vernichtenden Faktenlage sein Verhältnis zur Automobilität von Grund auf überdenkt. Dem ist aber nicht so. Im Gegenteil: Die Zahl der KFZ-Neuanmeldungen wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Heute gibt es weltweit 700 Millionen Autos, im Jahr 2030 sollen es knapp 1,1 Milliarden und bis 2050 mindestens zwei Milliarden Fahrzeuge sein. Dabei geht der Trend eindeutig in Richtung noch größerer, noch stärkerer Fahrzeuge. Natürlich stellt sich da die Frage, was uns Menschen so sehr am Auto begeistert? Es ist teuer, schmutzig, energiefressend, gesundheitsschädigend, Platz- und Ressourcen verschlingend. Parkmöglichkeiten werden immer knapper und Staus stehen an der Tagesordnung. Mit Vernunft lässt sich unsere Einstellung zum Auto jedenfalls nicht erklären. Diese Erfahrung machen auch Verkehrspolitiker. Wenn es ums Auto geht, schweigt die Vernunft.

Das Auto wird gerne als „Statussymbol“ gesehen. Dieses Bild reduziert die emotionale Bedeutung des Autos auf die gesellschaftlich akzeptierten Aspekte, verschleiert jedoch die tiefere Bedeutung. Diese zeigt sich, sobald es um Einschränkungen des Autoverkehrs geht. Verkehrspolitiker wissen, dass eine rationale Diskussion über das Auto unmöglich ist. Die weit überzogene, aggressiv gefärbte Argumentation der Autofahrer-Lobby erübrigt jeden Zweifel, was das Auto im Unbewussten vieler Menschen repräsentiert: phallische Überlegenheit. Einschränkung bedeutet Kastration. Das zeigt oft auch die Praxis, wenn Dr. Jekyll zu Mr. Hyde wird, sobald er hinter dem Lenker sitzt. Wollen Sie jemanden ernsthaft beleidigen, dann sagen Sie ihm, dass er ein schlechter Autofahrer ist. Im Straßenverkehr kommen die niedrigsten Instinkte des Menschen zum Vorschein. 1980, am Höhepunkt der Ölkrise, erregte die Kampagne „Gleiten statt Hetzen“ die Gemüter der Autofahrer. Rasch wurde „gegenkampagnisiert“. „Hetzt die Gleiter“ hieß die Devise. Mit dem Ergebnis, dass die einen provokant auf der Überholspur „dahinglitten“, während die anderen, dicht auffahrend mit aufgeblendeten Scheinwerfern, die „Gleitenden“ hetzten. „Fuck“ or „get fucked“ heißt die Devise nicht nur in amerikanischen Gefängnissen, sondern auch auf unseren Straßen. Die narzisstische Selbsterweiterung durch das Auto macht es möglich, dass sich selbst die Dümmsten mit mehr PS unter der Haube großartig und überlegen fühlen können, nur weil sie schneller sind. Dem Schnelleren gehört die Straße, der Rest muss weichen. Während Hetzer ihren Machtanspruch offen aggressiv zum Ausdruck bringen, äußert sich die Aggression bei Gleitern, die meinen, rasenden Autofahrern auf der Überholspur eine Lektion in Sachen Geschwindigkeitsbeschränkung erteilen zu müssen, in versteckter Form. Auf diese Weise werden Straßen zu „rechtsfreien“ Räumen. Statt der Straßenverkehrsordnung gilt das Faustrecht.

„Auf der Überholspur unterwegs“ hat sich das Auto überholt!

„Freie Fahrt für freie Bürger“ tönte es in den Siebziger Jahren vollmundig aus der Ecke der Hardcore-Autofahrer-Lobby. So als hätten die Autofahrer das Recht auf Freiheit für sich gepachtet. Grund für die Empörung war ein Auto freier Tag pro Woche, den die Regierung am Höhepunkt der Ölkrise der Bevölkerung verordnet hatte. Bis heute hat sich die Binsenweisheit, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die des anderen beginnt, in den Köpfen der Autofahrer-Lobby nicht festsetzen können. Wie selbstverständlich beansprucht sie weiter die öffentliche Verkehrsfläche für sich. Nicht ohne Erfolg. Immerhin fallen rund 80% der öffentlichen Verkehrsfläche auf den Autoverkehr. Der Rest der Verkehrsteilnehmer, Straßenbahnen, Busse, Radfahrer, Fußgänger, muss sich mit dem zufrieden geben, was übrig bleibt.

Die meisten Fachleute sind sich darüber einig, dass das Ölfördermaximum bereits im Jahre 2006 erreicht wurde. Je schneller die Weltwirtschaft wächst, umso mehr Erdöl wird benötigt und umso rascher gehen die Erdölreserven zur Neige. Mit der wachsenden Wirtschaft in den Schwellenländern boomt auch der Energieverbrauch. Alleine die Begeisterung der Chinesen fürs Auto führt nicht nur zu Dauerstaus in den großen Städten, sondern lässt auch die Erdölnachfrage und CO2-Emission explodieren. Während Metropolen wie Peking mittlerweile im Smog ersticken, wird beim Erdöl die Produktion (trotz aktuellem Überangebot) langfristig der Nachfrage immer stärker hinterherhinken. Eine „Lose-Lose Situation“. Da der weitaus größte Anteil des Erdöls (57%) in den Verkehr fließt, arbeiten die Autokonzerne bereits intensiv an der Entwicklung alternativer Antriebsmöglichkeiten. Sie sehen im E-Mobil die Zukunft des Autos und fragen, wie sie mit dem E-Auto die Massen begeistern könnte. Die einzige vernünftige Antwort lautet hier paradoxer Weise „gar nicht“. Es macht doch keinen Sinn, mit E-Autos eine neue Hysterie zu entfachen. Vielmehr sollte unser Interesse darin bestehen, das Irrationale, Hysterische in der Verkehrspolitik zurückzudrängen. E-Autos sollen nicht begeistern, sondern sich vernünftig in ein alternatives Verkehrskonzept einpassen. Natürlich würden E-Autos zur Verbesserung der Luftqualität in den Städten beitragen, aber alle anderen Auto verursachten Probleme wie Staus, Parkplatznot oder unfaire Aufteilung der öffentlichen Verkehrsfläche blieben ungelöst.

Das Auto ist ein Allrounder. Es ist in gleicher Weise für den Überlandverkehr wie für den Stadtverkehr gedacht. In einem sinnvollen Verkehrskonzept muss die Zukunft im Überlandverkehr der Bahn gehören. Innerhalb von Europa sind schnelle Züge für Städteverbindungen wesentlich besser geeignet als KFZ oder Flugzeuge. Sie befördern die Reisenden ohne lange Wartezeiten (bei Flügen üblicherweise 2 Stunden ohne Anfahrtszeit) und Staus Stress frei von Stadtzentrum zu Stadtzentrum. Welchen Sinn würde es da machen, das E-Mobil als Allrounder zu konzipieren? Wenn E-Mobile bloß Klone der bisherigen KFZ werden, änderte sich am grundlegenden Problem nichts. Auto basierter Individualverkehr sollte in Zukunft nur dort zum Tragen kommen, wo er den öffentlichen Verkehr ergänzt. Die Konzeption der E-Autos darf sich nicht am Vorbild des traditionellen Autos orientieren, sondern muss dem Bedarf eines städtischen Mobilitätskonzeptes Rechnung tragen. Es muss kleiner und Raum sparender werden als herkömmliche KFZ. Für die meisten Fahrten im städtischen Individualverkehr würden Ein- oder Zweisitzer völlig ausreichen. Folgt man den Prognosen der Verkehrsexperten, wird es in den nächsten Jahren um 40% mehr Individualverkehr geben. Vor allem in den Ballungsräumen würde diese Entwicklung unabhängig von der Antriebsart eines KFZ’s zum Verkehrskollaps führen. Unsere Altstädte sind nicht für den Autoverkehr gebaut. Es ist eine Frage der Vernunft, zumindest die Stadtzentren vom Autoverkehr zu befreien. Die Auto freien Verkehrsflächen könnten den Menschen z.B. durch Umwandlung in Fußgänger-, Begegnungszonen und Radwege als Lebensraum zurückgegeben werden.  

Ganz ohne Auto in den Städten wird es aber auch nicht gehen. Um dem Bedürfnis nach individueller Mobilität im innerstädtischen Bereich nachzukommen, muss das Angebot an öffentlichen Stadtautos, eben E-Fahrzeugen (Byke-, Car-Sharing, E-Taxis, in absehbarer Zukunft durch selbstfahrende Autos) zügig ausgebaut werden. Es bedarf aber auch neuer kreativer Lösungen, wie die Errichtung „von Phantomlinien“, die sich als Folge des via Internet angemeldeten Mobilitätsbedarfs spontan bilden, sobald kein Bedarf mehr vorhanden ist, wieder auflösen. Wichtig ist dabei aber immer die enge Verzahnung mit dem öffentlichen Verkehr (Bahn, Bim, Bus). Das Zurückdrängen des privaten Autoverkehrs aus dem städtischen Raum würde die Lebensqualität der Menschen erheblich verbessern. Einige können sich noch an die erhitzten Diskussionen erinnern, als 1974 in Wien zuerst die Kärntner Straße und bald darauf der Graben in eine Fußgängerzone umgewandelt wurden. Die Geschäftsleute fürchteten um ihre Umsätze und liefen Sturm gegen das Projekt. Entgegen aller Untergangsszenarien haben sich die Umsätze in den Fußgängerzonen seither vervielfacht und kein ernst zu nehmender Mensch würde heute für einen Rückbau plädieren. Der weitere Ausbau der Fußgängerzonen im innerstädtischen Bereich käme selbstverständlich dem Kleinhandel und den Nahversorgern zugute. Die großen Einkaufszentren am Stadtrand, die zum Geschäftesterben in den Innenstädten geführt haben, verdanken Ihre Existenz ja ausschließlich dem Auto. Durch die Wiederbelebung der Innenstädte würde nicht nur der Kleinhandel wieder aufblühen, es würden auch viele neue Arbeitsplätze entstehen.

Damit diese Utopie Wirklichkeit wird, bedarf es einer couragierten Vernunft orientierten Politik. Der Verzicht auf das Auto bedeutet Triebverzicht. Den freiwillig zu leisten war der Mensch zu keiner Zeit bereit. Daher wird eine vernünftige Verkehrspolitik zwangsläufig zunächst einmal auf heftigen Widerstand stoßen. Doch wie die Errichtung der Fußgängerzonen in den 70er-Jahren zeigt, macht sich Mut in der Verkehrspolitik längerfristig bezahlt. Wenn es nicht anders geht, müssen vernünftige Maßnahmen auch gegen den irrationalen Widerstand einiger Lobbys durchgesetzt werden. Wer heute noch auf Initiativen wie „Freie Fahrt für freie Bürger“ setzt, hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Von dieser Seite wird es keine Unterstützung für ein vernünftiges Mobilitätskonzept geben. Ähnlich wie die Waffenlobby in den Vereinigten Staaten auch nie zugeben wird, dass die Gewaltverbrechen mit der Verbreitung der Feuerwaffen zunehmen, oder die Tabaklobby, dass Rauchen die Entstehung von Lungen- und Blasenkrebs stark begünstigt. Zulange schon hat sich die Verkehrspolitik im städtischen Bereich vom aggressiven Gehabe der Autofahrer-Lobby einschüchtern lassen. Feinstaubbelastung, Co2-Ausschüttung, Dauerstaus, Verparkung des städtischen Raums und indiskutable Wohnverhältnisse entlang der innerstädtischen Hauptverkehrsadern zeigen, dass wir keine Zeit mehr zu verlieren haben, wenn uns die eigene Lebensqualität und Gesundheit wichtig sind. Selbst überzeugte Raucher stimmen mittlerweile dem Rauchverbot in Lokalen zu, weil es sich so einfach besser leben lässt.

________________________________________________________________________________________________________

Ich habe meine Ausführungen die gemalten „Assoziationen“ der Künstlerin Elisabeth Hauser zum Thema „Auto“ zugrunde gelegt, weil das Kreative, Visionäre in der heutigen Verkehrspolitik entschieden zu kurz kommt. Hier zwei Exponate ihres „Autozyklus“.

Warst du nicht fett und rosig?
"Auf der Überholspur unterwegs“ hat sich das Auto überholt

Elisabeth Hauser

Geboren 1983 in Niederösterreich, derzeit in Wien.

https://kunstrausch.wordpress.com/2014/02/24/elisabeth-hauser-3/

Was ist das: ein Mensch? Eine Seele? Wer sind wir, worüber definieren wir uns? Was sind unsere Motive, und sind sie uns bewusst?

Den Schöpfungsprozess erlebe ich als hochemotional. Die Bilder verlieren dabei ihren Anspruch auf Wirklichkeit und Wahrheit, und machen so den Blick auf die darunter verborgene Emotion frei. Körper werden zu Schlachtfeldern und Bühnen psychischer und sozialer Prozesse, ihr Umfeld zur Projektionsfläche.

So versuche ich, Emotionen als Spiegelbild der menschlichen Seele einzufangen, um ihre Untiefen, ihre Abgründe und ihre oft widersprüchliche Vielfältigkeit zugänglich zu machen.